Poesie und Apokalypse

Dr. Richard Reschika
Poesie und Apokalypse.
Paul Celans „Jerusalem-Gedichte“
aus dem Nachlaßband „Zeitgehöft“,
Centaurus-Verlagsgesellschaft, Pfaffenweiler 1991.


Zentraler Gegenstand der Studie sind die zwanzig postum publizierten Gedichte des mittleren Zyklus aus Paul Celans letztem Lyrikband „Zeitgehöft“ (1976), deren Schaffensimpuls auf die Israelreise des Dichters im Herbst 1969 – wenige Monate vor seinem Freitod – zurückgeht. Im Vergleich zum übrigen, an stetiger Reduktion und Depoetisierung orientierten Spätwerk Celans, begegnet der Leser hier einer neuen Einfachheit lyrischen Sprechens, das dennoch rätselhaft bleibt. Ausgehend von bestimmten Örtlichkeiten Jerusalems – einzelnen Toren, Straßen, Plätzen und Denkmälern der Stadt – sieht das lyrische Ich der Gedichte welthistorisches Geschehen, autobiographisches Erleben und metaphysisches Suchen ins eins. Als Liebes- und Endzeitdichtung zugleich steht der „Jerusalem-Zyklus“ dabei in einer spannungsvollen Ambivalenz von heilsgeschichtlicher Erfüllung und kosmischem Nihilismus
Namentlich vor dem Hintergrund jüdisch-christlicher Theologie und Mystik, aber auch unter Berücksichtigung anderen Fachwissens, versucht der Verfasser in detaillierten Einzelinterpretationen, den an diese Lyrik häufig herangetragenen „Hermetismusvorwurf“ zu entkräften. Allgemeine Überlegungen zu Celans Poetologie- und Religionsverständnis umrahmen die Arbeit, die sich aufgrund ihres interdisziplinären Charakters gleichermaßen an Freunde der Literatur wie der Theologie richtet.